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Sozialstaat 4.0

Veröffentlicht am 28.06.2015

Unsere Arbeitsgesellschaft wandelt sich rasant. Die Globalisierung schafft neue Märkte, aber auch neue Konkurrenten. Das traditionelle Dauerarbeitsverhältnis geht immer mehr zurück. Die Digitalisierung wird viele traditionelle Ausbildungsberufe überflüssig machen. Durch die  demografische Entwicklung stößt die klassische Sozialpolitik an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten, während gleichzeitig ein enormer Bedarf an Arbeitskräften im sozialen und pflegerischen Bereich entsteht.

 

Hält der Sozialstaat das aus? Reagiert er rechtzeitig und richtig?     

Roland Weber

 

Statement zum Podium IV:

Sozialstaat zwischen Bestandserhaltung und Innovation

 

Eigenverantwortung fördern, Sozialstaat fit machen

 

 

Unsere Arbeitsgesellschaft wandelt sich rasant. Die Globalisierung schafft neue Märkte, aber auch neue Konkurrenten. Das traditionelle Dauerarbeitsverhältnis geht immer mehr zurück. Die Digitalisierung wird viele traditionelle Ausbildungsberufe überflüssig machen. Durch die  demografische Entwicklung stößt die klassische Sozialpolitik an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten, während gleichzeitig ein enormer Bedarf an Arbeitskräften im sozialen und pflegerischen Bereich entsteht.

 

Hält der Sozialstaat das aus? Reagiert er rechtzeitig und richtig?     

 

Der verlässliche Sozialstaat, „Vater Staat“, war über Jahrzehnte Geschäftsgrundlage für das Miteinander von Arbeit und Leben in Deutschland. Doch der verlässliche Sozialstaat war ein träger Sozialstaat geworden, der die Globalisierung ignorierte. Er gefährdete damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und in Folge die Arbeitsplätze und die soziale Sicherung. Der Sozialstaat kann sich selbst im Wege stehen. Dann muss er fit gemacht werden für die Zukunft.

 

Eine solche Fitnesskur waren die Reformen des vergangenen Jahrzehnts (die „Agenda 2010“ sei beispielhaft genannt), die unser Land nach vorne gebracht haben.

 

Die Rentenreform 2002 führte zur Einführung der Riester-Rente als ersetzendes Element wegfallender Absicherung der gesetzlichen Rente. Die Mischung aus Kapitaldeckung und staatlicher Förderung bietet eine freiwillige Zusatzabsicherung mit Beitragserhalt. Gerade für Geringverdiener und Teilzeitbeschäftigte führt die staatliche Förderung zu einem Vorsorgeprodukt mit unschlagbarer Rendite. Im Zuge der Diskussion über drohende Altersarmut bei Selbstständigen wurde die Altersvorsorge mittels staatlicher Unterstützung ausgeweitet: Die Rürup-Rente als zusätzliches Element soll ihnen ein kapitalgedecktes System ähnlich der berufsständischen Versorgungswerke für Freiberufler bieten.

 

Damals hatte die SPD formuliert: „Ziel des modernen Sozialstaates ist Ermutigung zu Eigenverantwortung und Eigeninitiative, nicht Bevormundung. Wir müssen das Verhältnis von Solidarität und Individualität ständig neu bestimmen. Neue Freiräume für die Menschen müssen das Ergebnis sein.“

 

Ein solch klares Bekenntnis zur Subsidiarität, zum ständigen Neubestimmen des Verhältnisses zwischen Individualität und Solidarität, ist heute nicht mehr so klar zu vernehmen. Die Forderung nach Eigenverantwortung wird oft als „neoliberale Propaganda“ abgetan. Eigenverantwortung ist aber zwingend Bestandteil des Bildes eines Menschen, der nach Freiheit und Selbstverwirklichung strebt und zugleich moralisch und solidarisch handeln möchte. Eigenverantwortliche Vorsorge schafft mehr Generationengerechtigkeit.

 

Soll das Zusammenspiel der gesetzlichen und privaten Systeme der sozialen Sicherung stabil und nachhaltig sein, ist zunächst das Bewusstsein für das unabdingbare Nebeneinander zu schaffen. Das Altersvorsorgesystem muss weiterhin die Mischung aus umlagefinanziertem und kapitalgedecktem System ermöglichen. Hierfür sind stabile politische Rahmenbedingungen zu schaffen, die nicht ständig von der Politik verändert werden. Kontinuität und Verlässlichkeit sind sowohl für die gesetzlichen Sozialversicherungsträger wie für die privaten Anbieter unabdingbar – und erst recht für die Bürgerinnen und Bürger.

 

Die Reformen des vergangenen Jahrzehnts dürfen nicht zurückgedreht werden. Im Gegenteil, „Arbeit 4.0“ erfordert eine neue Fitnesskur für unsere Sozialsysteme. Damit sie zu größerer Akzeptanz führt als die von oben diktierte Agenda 2010, muss sie in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs entstehen. Dabei darf die Diskussion über die Zukunft des Sozialstaats nicht den Sozialpolitikern und Sozialverbänden überlassen werden. Betroffenheit schafft zwar Kompetenz, aber auch Befangenheit. Gewerkschaften und Arbeitgeber, Beschäftigte in Start-ups wie im klassischen Arbeitsmarkt, Finanz- und Wirtschaftspolitiker, Bildungsökonomen wie Demografieforscher  müssen sich einbringen.  

 

Notwendig ist darüber hinaus eine stärkere Flexibilisierung und Harmonisierung auf europäischer Ebene. Der Sozialstaat als Nationalstaat kann langfristig den Menschen in einer mobilen Arbeitswelt nicht mehr die notwendige Sicherheit bieten. Gleichzeitig ist die Harmonisierung notwendig, um Sozialstaatsarbitrage zu verhindern.

 

Eine solche Harmonisierung wird die jeweils nationale Politik vor große Herausforderungen stellen, gilt es doch, auf Bewährtes zu verzichten und Neues, Unbekanntes anzunehmen. Harmonisierung bedeutet auch immer Nivellierung. Das ist schmerzhaft für diejenigen, die abgeben müssen, aber auch nicht unbedingt erfreulich für jene, die zubauen müssen.

 

Dies umzusetzen wird schwierig in einer Europäischen Union, in der der europäische Gedanke aktuell nicht gerade hoch im Kurs steht, in der von der Globalisierung verängstigte Wähler nationale Bewegungen stärken. Und doch ist es ein notwendiger Weg.