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Neues Riester-Bashing vom DIW

Veröffentlicht am 15.07.2015

Riester, hypothetisch

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat sich wieder einmal auf die Riester-Rente eingeschossen und viele Medien haben kritiklos darüber berichtet. Das ist für Roland Weber Anlass, genauer hinzuschauen.

 

Roland Weber

Riester, hypothetisch

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat sich wieder einmal auf die Riester-Rente eingeschossen und viele Medien haben kritiklos darüber berichtet. Das ist für Roland Weber,  Mitglied der Vorstände der Debeka Versicherungen und streitbarer Vertreter der Deutschen Aktuarvereinigung, Anlass genauer hinzuschauen.

Johannes König schreibt an der Freien Universität Berlin gerade an seiner Doktorarbeit. Es geht um die Auswirkungen der Riester-Rente auf die Einkommensverteilung. Bei 16 Millionen Riester-Verträgen in Deutschland sicherlich ein interessantes Thema.

Doktorvater von Johannes König ist Giacomo Corneo. Seinem Wikipedia-Eintrag zufolge hält er den Kapitalismus an sich für „ineffizient, ungerecht und entfremdend“. Er trete eher für einen „Aktienmarktsozialismus“ ein, in dem das eigentliche Prinzip der Marktwirtschaft erhalten bliebe, das Privateigentum an Produktionsmitteln jedoch stark beschnitten würde.

Man ahnt schon, zu welchem Ergebnis die Doktorarbeit kommen wird: Die Riester-Rente ist ineffizient, sorgt für windfall-profits bei den ohnehin schon gut Betuchten und führt zu einer Zunahme des Anteils der Bevölkerung, der unter der Armutsgrenze lebt.

Nun bewegt eine Doktorarbeit selten die Republik, es sei denn, sie stammt von einem prominenten Politiker und entpuppt sich im Nachhinein zumindest stellenweise als Plagiat. Aber in Berlin ist alles möglich. Dort gibt es bekanntlich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das sich schon in der Vergangenheit in Sachen Riester-Rente hervorgetan hat.

Mangels eigener Kompetenz hatte man vor vier Jahren den Lobbyisten und Versicherungskritiker Axel Kleinlein als Experten verpflichtet kam nach zehn Jahren Riester-Rente zu der wissenschaftlichen Erkenntnis: „Riestern ist oft nicht besser als das Geld in den Sparstrumpf zu stecken“. Kleinlein und das DIW kamen damit in den Medien groß raus, es folgten heftige Diskussionen und harsche Kritik. Schließlich rief das DIW die Beteiligten zu einem als „Krisengipfel“ (manager magazin) hochstilisierten Workshop zusammen, der natürlich auch keine Einigung brachte. Doch DIW und Kleinlein hatten erreicht, was sie wollten: Das Riester-Neugeschäft kam fast zum Erliegen.

Jetzt übernahm das DIW zusammen mit der FU das Patronat über Königs Dissertation, und ihre Pressekonferenz am 7. Juli schlug erneut ein wie eine Bombe. „Wer hat, dem wird gegeben – die Riester-Rente nützt vor allem den Wohlhabenden“ textete die Süddeutsche, „Studie: Riester-Rente nutzt vor allem Besserverdienenden“ das Handelsblatt. Die Stuttgarter Zeitung schrieb vornehm  „Wohlhabende profitieren am meisten von Riester-Rente“, die taz knapp und klar „Riestern nützt nur Reichen“.

Die Reaktion aus dem oppositionellen Lager kam sofort. Besonders scharf schoss erwartungsgemäß die Linke: „Linken-Chefin Katja Kipping kritisierte die Riester-Rente als ‚sozialpolitisch unsinnig‘. Das Modell sei eine Verschwendung von Steuergeld. Sie forderte, ausschließlich auf die gesetzliche Rentenversicherung zu setzen und deren Niveau wieder anzuheben.“ (Die Welt, 08.07.). Nicht ganz so hart die Grünen: „Der rentenpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth, nannte die Riester-Rente in ihrer bisherigen Form gescheitert… Kurth forderte, die private Altersversorgung zu vereinfachen. Die Grünen wollen ein öffentlich-rechtlich verwaltetes Basisprodukt.“ (Welt, 08.07.). Die FAZ fasste zusammen: „Opposition hält Riester für gescheitert.“ Klappe zu, Affe tot.

 

Ein Modell mit Hypothesen, Imputationen und Simulationen

Allen, die so schnell urteilen, sei ein Blick in die Studie empfohlen – und nicht nur auf die Schlagzeilen.

Als erstes stellt man fest (Chapter 3 – PHA and tax calculation), dass weder Johannes König noch die FU oder das DIW eigene Daten über Riester-Sparer haben. Also griffen sie auf das Panel on household finances (PHF) der Deutschen Bundesbank zurück. Dieses Panel umfasste im vergangenen Jahr immerhin 4.500 zufällig ausgewählte Haushalte, bei seiner ersten Erhebung in den Jahren 2010/2011, die König in seiner Studie offensichtlich verwandte, waren es 3.565. Die Bundesbank sagt selbst über das Panel: „Wohlhabendere Haushalte sind überproportional erfasst worden, um die Vermögenszusammensetzung und -verteilung besser analysieren zu können“ (Deutsche Bundesbank, Pressenotiz vom 31.03.2013) – aber ein seriöser Forscher wird das sicherlich berücksichtigt haben.

In einem Teil dieser Haushalte gab es Riester-Sparer, die angaben, wie hoch ihr Einkommen ist und welchen Beitrag sie für die Riester-Rente aufbringen. In einem Teil dieser Haushalte gab es aber auch Riester-Sparer, die nichts darüber angaben. Für diese Personen versuchte König entsprechende Werte annäherungsweise durch das recht komplexe Verfahren der Multiplen Imputation (Appendix 1 – Multiple Imputation) zu ermitteln, er erhielt also hypothetische Werte.  

Auf der Basis dieser teils durch Befragungen, teils durch Hypothesen ermittelten Daten der mehr oder weniger repräsentativen Teilmenge der Riester-Sparer simulierte König dann die Höhe der Steuerlast dieser Haushalte – und die Höhe ihrer Entlastung durch die Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Riester-Rente (Appendix 2 – Details on Tax Calculation), oder wie er selbst schreibt „the hypothetical benefit from tax deduction“.

Zunächst stellt er fest, dass 61,3 % der Haushalte seines Panels Riester-berechtigt sind. Nur in 17 % aller Haushalte des Panels gibt es Personen, die Riester-Förderung in Anspruch nehmen.

Jetzt sind wir offensichtlich bei nur noch 600 Haushalten angekommen…    

In der realen Welt sind 40 % der Riester-Berechtigten auch tatsächlich Riester-Sparer, beim PHF nur 27 %. Die reale Welt spielt aber im Modell keine Rolle.

Aus der Vergleichsmenge des PHF wurden jetzt noch Haushalte eliminiert, die für die Riester-Förderung angeblich nicht in Frage kommen, im Wesentlichen Haushalte mit Personen über 63 Jahren; dadurch steigt das Durchschnittseinkommen der verbleibenden Gruppe. Anschließend analysiert König die Verteilungseffekte der Riester-Förderung, die aus Zulagen und Steuerentlastung besteht, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, genauer gesagt: der Gesamtmenge des PHF.

König kommt dann zu dem Schluss, dass die Riester-Rente Haushalte mit hohem Einkommen stärker als Geringverdiener bezuschusst: „Hence, the Riester scheme mainly subsidizes high-income households rather than the working poor“ (Chapter 4 – Main Results).

Immerhin kommt er dann auch zu dem Ergebnis, dass die Riester-Förderung keinen relevanten negativen Einfluss auf die Einkommensverteilung hat („the Riester scheme is almost distributionally neutral“ (Chapter 6 – Conclusion). Diese Erkenntnis ging an den Journalisten, die über die Studie berichteten, allerdings völlig vorbei.   

 

Fakten statt Hypothesen

 

Wir haben also erlebt, wie eine kleine Studie ein großes Medienecho fand. Und wie die auf Schlagzeilen verkürzten, durchaus fragwürdigen Ergebnisse der Studie instinktiv von interessierter Seite benutzt wurden, eine Kehrtwende in der Rentenpolitik zu vollziehen. Und das alles auf der Basis von Stichprobenbefragungen, Simulationsrechnungen und Hypothesen. Warum nicht auf der Basis von echten Zahlen?

Weder der Doktorand noch sein Doktorvater noch die FU noch das DIW hat die Versicherer gefragt. Warum nicht? Aus Angst vor der Realität, wo es sich doch so viel besser in Hypothesen lebt?

 

Die Versicherer verfügen zumindest über einige Fakten. Sie wissen, wer Riester-versichert ist, welche Zulage er bekommt, welches Einkommen er hat – und müssen das nicht simulieren. So ist z. B. die Debeka mit mehr als 800.000 Riester-Rentenverträgen einer der größten Anbieter am Markt. Über 35 Prozent von ihnen verfügen über ein Jahresbruttoeinkommen von maximal 10.000 Euro. Fast ebenso viele verdienen zwischen 10.000 und 30.000 Euro brutto im Jahr. Das ergibt zusammen 70 Prozent der Riester-Sparer, deren Einkommen unter 30.000 Euro brutto liegt. Nur knapp 11 Prozent geben an, mehr als 50.000 Euro brutto jährlich zu verdienen. Der GDV liefert für die 11 Millionen Riester-Rentenversicherungen der Branche insgesamt ähnliche Zahlen.

 

Anhand dieser Werte wird deutlich, dass die staatlich geförderte Riester-Rente insbesondere von förderberechtigten Personen der unteren Einkommensgruppen genutzt wird. Förderberechtigte mit einem jährlichen Bruttoeinkommen zwischen 10.000 und 30.000 Euro erhalten aktuell im Debeka-Bestand eine durchschnittliche staatliche Zulage von über 300 Euro p.a. Bei Mitgliedern mit einem Einkommen von mehr als 50.000 Euro p.a. fällt die durchschnittliche Zulage nicht höher, sondern um 17 % geringer aus - und das trotz höherer Eigenbeiträge.

 

Soweit die echten Zahlen. Was die Versicherer nicht wissen, sind die Zusammensetzung und das Gesamteinkommen des Haushaltes, in dem der Förderberechtigte aktuell lebt.

 

Doch wer gerade in welchem Haushalt lebt – das ist heutzutage eine Momentaufnahme. Und die taugt nicht als Prognose, wem im Alter die Riester-Rente nützt. Wenn eine teilzeitbeschäftigte, weil Kinder erziehende Frau riestert, hat sie aktuell vielleicht einen Ehepartner, der überdurchschnittlich verdient. Wenn die Ehe auseinander geht – was in der Hälfte aller Fälle geschieht -, lebt sie wahrscheinlich nicht mehr in einem Haushalt, den das DIW zu den „Besserverdienenden“ zählt. Die Zulage und die daraus fließende Rente bleibt ihr jedoch ein Leben lang erhalten.          

Ja, die steuerliche Absetzbarkeit der Riester-Beiträge nützt (in der Einzahlungsphase) Besserverdienenden mehr als Geringverdienern. Doch das hat mit der Riester-Rente nichts zu tun, das ist fundamentaler Bestandteil jedes progressiven Steuersystems. Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuern und kann auch höhere Beträge steuerlich absetzen. In der Rentenphase müssen die „Reichen“ allerdings auch mehr Steuern auf ihre Riester-Rente zahlen als Menschen, die weniger verdienen. Die Alternative, die flat tax, ist  mit Sicherheit nicht im Interesse des DIW. 

Wie wäre es mit dem nächsten Aufschrei des DIW nach dem Motto: „Skandal! Lohnsteuerjahresausgleich nützt vor allem den Reichen – Geringverdiener gehen leer aus!“

Die Realität auf den Kopf gestellt

Zusammenfassend kann festgestellt werden: Die DIW-Studie beruht auf der Befragung einer kleinen Zahl von Haushalten, vielen hypothetischen Annahmen und komplexen Simulationsrechnungen, die die Wirklichkeit nur unvollständig abbilden Die der Presse präsentierten Ergebnisse stellen die Realität sogar auf den Kopf. Sie ist zudem eine Momentaufnahme, eine Querschnittsbetrachtung und lässt die Längsschnittanalyse (oder -Prognose) völlig außen vor: Inwieweit es gelingt, das politische Ziel der Riester-Rente zu erreichen, nämlich  den Menschen im Alter eine zusätzliche Rente zur Verfügung zu stellen.

Hierzu schreibt König: Seine Analysen auf einen lebenslangen Gesamtrahmen auszuweiten, sei eine vielversprechende Aufgabe für künftige Forschungen („a promising avenue for future research“ (Chapter 6 – Conclusion). Für eine Doktorarbeit ist das sicherlich ok, für einen politischen Rundumschlag aber völlig ungeeignet. Wieder einmal hat beim DIW die ideologische Voreingenommenheit über die wissenschaftliche Seriosität gesiegt.

Interessanterweise war es die gesetzliche Rentenversicherung, die eine Woche nach der DIW-Propaganda ihr Pressefachseminar nutzte, um den überraschten Journalisten Positives über die Riester-Rente zu berichten: „Geringverdiener sowie Versicherte mit mehreren Kindern bekommen für ihre Beitragszahlungen später überdurchschnittlich viel heraus“, meldete dann am 15. Juli die FAZ, „Riester-Vertrag kann sich doch lohnen“ die Süddeutsche. 

Die passende Antwort zum wiederholten Riester-Bashing durch das DIW lieferte Walter Riester selbst, wie das Versicherungsjournal am 13. Juli über eine Diskussionsveranstaltung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge berichtete: „In keinem anderen Land würden die Menschen, die Rücklagen für ihr Alter bilden wollen, so verunsichert, sagte Riester. Er sei entsetzt, wenn über eine sogenannte Riester-Falle gesprochen werde. Millionen Menschen würden verunsichert. Und die Riester-Rente sei eben kein Produkt der Kapitalanlage, sondern im Endergebnis ein Versicherungsprodukt, da auch bei Bank- und Fondssparplänen die Ersparnisse ab dem 85. Lebensjahr in eine Rentenversicherung umgewandelt würden.“

Einmal in Fahrt gekommen, stellte Riester auch sinnvolle Verbesserungen „seiner“ Rente vor: Der Kreis der Förderberechtigten solle um die Selbständigen erweitert werden, die komplizierte zentrale Zulagenverwaltung auf die Finanzämter übertragen und die Förderhöchstgrenze dynamisiert werden.  

So klar und sachlich hätte ich das auch gerne mal von einem um seine Reputation bemühten Wirtschaftsforschungsinstitut gehört.